An der Hauswand prangen Worte. Aneinandergereiht ergeben sie einen Sinn. Oder zumindest so etwas Ähnliches. Denn am Haus Ackerstraße 3 am Worringer Platz ist zu lesen:
„Der Himmel hat seine Vögel genommen und ist gegangen“
Was poetisch klingt, das ist tatsächlich Poesie. Diese Worte am sozialen Brennpunkt stammen vom türkischen Lyriker Ilhan Berk.
Die Zeile hat etwas Melancholisches, Tragisches. Und gleichzeitig fordert sie zum Handeln auf: Such‘ die Vögel! Wo sind sie hin? Warum hat er das getan? Wollte er sich das Elend von Drogen- und Alkoholsucht am Worringer Platz nicht mehr anschauen und hat deshalb die Vögel mit ihren guten „Adleraugen“ entfernt?
Der Vers mit dem Namen „Gitti Gök“ von İlhan Berk wurde am 29. Dezember 2015 auf die Brandmauer aufgebracht. Ausgeführt wurde er in einer Schrift aus lose aufgetragenem weißen Pigment. So ist die Arbeit bewusst auf eine vergängliche Wirkung hin angelegt.
Ausgedacht hat sich das Ganze die Düsseldorfer Künstlerin Ulrike Möschel im Rahmen des Kunstprojekts Gasthof Worringer Platz. Auf die Frage, wie lange die aus vergänglichem Material aufgetupfte Schrift wohl zu sehen sein wird, antwortete sie 2015: „Ich hoffe, sie ist noch ein paar Wochen zu sehen.“ Mehr als 300 Wochen später sind die Worte jedenfalls noch immer da – und ich freue mich jedes Mal darüber, wenn ich an der Ampel stehe, bevor ich am Worringer Platz in die Straßenbahn steige.
Ein ausführliches Interview zu diesem Werk findet sich hier: https://www.theycallitkleinparis.de/2016/01/09/der-worringer-platz-ist-kuenstlerisch-eine-grosse-herausforderung-interview-mit-ulrike-moeschel/
Auch in Oberkassel am Rhein gibt’s Lyrik an einer Fassade.
Weitaus bekannter als Möschel ist der US-amerikanische Konzeptkünstler Laurence Weiner, der häufig in einem Atemzug mit Sol LeWitt und Robert Barry genannt wird.
Als im Jahr die Ausstellung „Lawrence Weiner. As Far As the Eye Can See“ ins K21 / Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen kam, wurde zeitgleich auch in Niederkassel die Fassade des Wohnhauses am Kaiser-Friedrich-Ring 25 mit seinen Worten geschmückt:
„Aufgebaut mit vom Himmel gefallenen Steinen“
steht da. Und eine Etage darunter: „Herunter“ und „Hinauf“
Seit wann fallen Steine vom Himmel? Sind es nicht eher die Gedanken und Assoziationen, die zu diesem Teilsatz vom Himmel fallen? Die Steine, aus denen dieses Gebäude errichtet wurde, sind gewiss sehr irdischen Steinbruch-Ursprungs.
Weiner erschuf Kunst nicht aus Stein oder Farbe, sondern aus Worten. Worte, die zu Kunstobjekten werden. Rätselhaft sind sie noch dazu. Dieser Satz hält nicht einmal die Regeln der Grammatik ein, ist fragmentarisch und folgt keiner Narration. So erlaubt er zig Interpretationen, gibt aber keine als richtig oder falsch vor.
„It´s a sculpture; there is no message, it says what it says“- es ist eine Skulptur; es gibt keine Botschaft; sie ist was sie ist.“
Sprache als Faktum. Für Weiner haben diese Worte dasselbe Gewicht, wie ein Stein, sind etwas Gegenständliches.
Eine weitere Arbeit von Lawrence Weiner befindet sich in der Johanneskirche am Martin-Luther-Platz. Aber das ist ein Thema für einen eigenen Blog-Beitrag. bei
Haben Sie nun Lust, mit mir das erweiterte Bahnhofsviertel zu erkunden oder einen Rundgang durch Oberkassel zu machen? Kontaktieren Sie mich!