Das Museum Kunstpalast hat mal wieder einen Paukenschlag geschafft: Unfreiwillig wurde die von Modofotograf Peter Lindbergh selbst kuratierte Ausstellung seiner bisher ungezeigten Werke – daher der Titel „Untold Stories“ – zu einer intimen Retrospektive, zu einem fulminanten Nachruf auf sich selbst. Denn der 1944 in Duisburg geborene Star hinter der Fotokamera, der reihenweise Supermodels schuf, verstarb überraschend im vergangenen Herbst mit 74 Jahren. Glück für Kunstpalast-Chef Felix Krämer: Kurz zuvor war das Konzept der Ausstellung fertig geworden, Lindbergh hatte dazu zwei Jahre lang nicht nur alle 140 Fotos eigenhändig ausgewählt, sondern auch deren Zusammenstellung, Gruppierung, Hängung und die Gestaltung der Räume bestimmt. Es fehlte nur noch die Ausführung – und die hat der Kunstpalast beeindrduckend hinbekommen.
Ich hatte das Glück, bei der offiziellen Eröffnung dabei sein zu dürfen – und kam so in den Genuss von drei tatsächlich interessanten Reden. Die erste von Krämer, die zweite vom Sponsor Porsche und die dritte – sehr persönliche – von Wim Wenders. Der erzählte, dass er immer während Paris-Aufenthalten bei seinem Freund Lindbergh in einem Zimmer hinter dem Atelier übernachtet habe. Während der Auswahl-Zeit habe er dreimal dort gewohnt und sei jedes Mal über einen Boden voller Bilder für diese Ausstellung ganz vorsichtig barfuß drüber balanciert. Beim ersten Besuch habe Lindberg stolz über den Auftrag erzählt, alle Bilder für die Ausstellung auszusuchen, beim zweiten Besuch ein Jahr später habe er nur noch geflucht, und beim dritten Besuch habe er leise gesagt, nachdem er nun sein gesamtes Oevre jahrelang gesichtet habe, wisse er nun endlich, wer er sei.
Sogar die Ansprache des Sponsors war interessant. Lindbergh hatte von Porsche eine „carte blanche“ für sein Werbemotiv für den Taycan erhalten. Seine Motiv-Idee: Eine Partynacht ist so schön, dass sie nie zu Ende gehen soll. Deshalb entschlossen sich zwei Freundinnen aus Paris, spontan mit ihren Autos an die Küste zu fahren. Abgebildet sind die beiden Porsche in der Normandie am Strand mit windzerzausten Damen in opulenter Abendrobe.
Doch nun zur Ausstellung:
Gleich im ersten Raum ist der Besucher umringt von „Foto-Tapeten“: Überlebensgroß blicken Augen auf den Betrachter herunter, machen den Besucher klein, Däumeling im Land der Riesen-Gedanken kommen auf. Aber schon hier wird klar: Mode-Fotografie ist das nicht. Zwei Krähen hocken über einer Parkbank, Gesichter schauen uns an, Frauen sitzen mit übereinandergeschlagenen Beinen aber ohne Köpfe – Lindbergh hat für uns zerbrechliche Momente festgehalten. Vor seiner Kamera agierten Supermodels, und doch hat die Mode für ihn keinen Stellenwert. Statt dessen ging es ihm immer um den Menschen. Und obwohl viele der Supermodel-Gesichter bekannt vorkommen, hat man keines dieser Bilder jemals irgendwo gesehen – „Untold Stories“ eben. In der Ausstellung sind keine Hochglanz-Strecken zu sehen, die einst für Vogue oder andere Modemagazine entstanden. Statt dessen die kleinen Momente daneben, die die Models sehr menschlich zeigen, beim Rauchen, in den Pausen wenn sie sich unterhalten. Und es gibt auch etliche Bilder ganz ohne Models: Landschaftsaufnahmen, Gebäude, Hände…
Mier stellte sich beim Rundgang durch die Ausstellung auch die Frage: Gibt es Fotos, die nicht beeindruckend wirken, wenn sie auf Riesenformat vergrößert wurden?
Im hinteren Teil läuft in einem abgedunkelten Raum der Film „Testament“, in dem ein zum Tode Verurteilter in einen Spiegel blickt und dabei gefilmt wird. Er verzieht meist keine Mine, blinzelt, mal zuckt ein Mundwinkel, einmal erscheint ein Lächeln und verschwindet so schnell wieder, dass der Betrachter meint, es sei garnicht da gewesen. Im Raum daneben hängen Foto-Stills des Films. Was ist Menschlichkeit? Lassen sich Gut und Böse beim Blick in die Augen erkennen und auseinanderhalten?
Einen super Artikel über die Ausstellung gibt es im Spiegel:
https://www.spiegel.de/stil/peter-lindbergh-untold-stories-die-letzte-ausstellung-des-fotografen-a-dc05fadc-af56-4ca7-8695-69ec02b8ff57
Auch die WZ hat einen tollen Bericht über die Ausstellung geschrieben:
https://www.wz.de/nrw/duesseldorf/peter-lindbergh-schau-im-duesseldorfer-kunstpalast-von-wim-wenders-eroeffnet_aid-48777469 (Herbertt Grönemeyer, Klaus Mettig, Katharina Sieverding waren auch bei der Vernissage – und ich habe sie alle nicht bemerkt oder erkannt)
und
https://www.wz.de/nrw/duesseldorf/kultur/ausstellung-im-kunstpalast-das-beste-von-peter-lindbergh-in-duesseldorf_aid-48758357
Hier mehr zur Ausstellung, die bis zum 1. Juni 2020 läuft:
https://www.kunstpalast.de/de/museum/ausstellung/aktuell/peter-lindbergh
Wer nach dieser geballten Foto-Macht noch Kapazitäten im Hirn frei hat, dem empfehle ich eine Stippvisite in der Ausstellung zu Angelika Kauffmann auf der gleichen Etage. Die Schweizerin war die erste Frau, die gleich in mehreren Mal-Akedemien aufgenommen wurde – weit bevor Paula Moderssohn ihren Durchbruch feierte, konnte sie als Frau von ihrer Kunst leben. Sie porträtierte in Italien die britische Haute Volée während der Grand Tour, zog nach England, war eine echte Berühmtheit. Daher der Untertitel „Influencerin“ – denn sie war im 18. Jahrhundert das Äquivalent von den heutigen digitalen Nachfolgerinnen.
https://www.kunstpalast.de/de/museum/ausstellung/aktuell/angelika-kauffmann-Ausstellung