Eine repräsentative Unternehmenszentrale ließ sich der Stahlkonzern „Gebrüder Stumm“ bauen – und nannte ihn „Neuer Stahlhof“. Er steht in unmittelbarer Nachbarschaft zum „Stahlhof“, in dem heute das Verwaltungsgericht untergebracht ist, und ist ein sichtbares Zeugnis dafür, dass Düsseldorf einst der Kulminationsort der Macht der Ruhrbarone und der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ war.
Aus einem Architekturwettbewerb ging Paul Bonatz als Gewinner hervor – der Hauptvertreter der traditionalistischen Architektur der „Stuttgarter Schule“ und Erbauer des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Sein Entwurf erfüllte alle Voraussetzungen: Er verband den Stahlhof über Innenhöfe mit dem auf dem ehemaligen Exerzierplatz der Kaserne neu entstehenden Gebäuden. Modern sollte der Bau sein, den Reichtum und die Macht des Konzern zeigen, aber gleichzeitig nicht protzig, sondern eher „understatement“ widerspiegeln. Es sollte ein nutzwertiger Verwaltungsbau entstehen, unter „ Aufwendung einfachster Mittel in Material und Formgebung, aber nicht auf Kosten wirklicher Gediegenheit“.
Der 1922-24 entstandene Bau wurde in Stahlskelett-Bauweise errichtet – und die galt einst als Inbegriff der gotischen Architektur. Bonatz selbst nannte seinen Stil „Bürohausgotik“. Insbesondere das aufwändige Strebewerk erinnert an die hoch in den Himmel aufstrebenden Kathedralen der Gotik. „Die bis zum letzten durchgeführte Vertikale“ der dreieckigen Pfeiler sind daher auch das Wahrzeichen des Neuen Stahlhofs. Er gilt heute als eines der wenigen noch erhaltenen expressionistischen Gebäudeensembles.
Backstein galt in den 20er-Jahren als bester Werkstoff für Fassaden. Zumal er ein typischer Baustoff der Region ist. Rings um Düsseldorf herum gab es einst einen Ring aus Ziegeleien, von denen die Urdenbacher die bekannteste war. Sogar der russische Zar Peter der Große schickte einst seine Gesandten nach Urdenbach, um die Verfahrenstechniken zu studieren – und nachzumachen.
Innen im Neuen Stahlhof ist eines der schönsten Treppenhäuser Düsseldorfs – nicht öffentlich zugänglich, sondern nur für die Firmen, die dort ihre Büroräume haben, ihre Mitarbeiter und Besucher. Während meiner Zeit in der Online-Redaktion des Handelsblatts durfte ich ein paar Jahre lang dort arbeiten – und daher kann ich Ihnen Fotos zeigen:
Doch auch die Geschichte des Erbauer-Konzerns ist interessant. Wer waren überhaupt die Gebrüder Stumm? Aus dem Westerwald stammend, besaß die Familie Stumm zu Zeiten der Proto-Industrialisierung im 18. Jahrhundert mehrere Eisenhämmer. Sukzessive kauften sie sich an der Saar und in Lothringen sowie im Ruhrgebiet Hüttenwerke hinzu und schafften es innerhalb von fünf Generationen, zu den einflussreichsten Montanunternehmern Deutschlands zu werden.
Nach Gründung des Deutschen Reiches 1871 schritt die Industrialisierung rasch voran, die Nachfrage nach Produkten aus Stahl und Eisen stieg rapide an. Einer der reichsten und mächtigsten Unternehmer war Carl Friedrich Stumm. Die Landbevölkerung verarmte und wanderte ab in die Zentren der Industrialisierung, zu den Stahlwerken und Fabriken. Sein Sohn Carl_Ferdinand_von_Stumm-Halberg machte es ihm nach – kein deutscher Unternehmer war im 19. Jahrhundert so umstritten wie er. Er fühlte sich für seine Arbeiter verantwortlich, führte werkseigene Hilfskassen ein, ließ Schulen und Krankenhäuser bauen. Das Mildern der sozialen Probleme seiner Arbeiterschaft war ihm aber nur Mittel zum Zweck, um sie ruhig und produktiv zu halten. Dafür verlangte er die alleinige Kontrolle über seine Arbeiter. Gewerkschaften und Parteien duldete er genauso wenig in seinem Betrieb wie die katholische Kirche. Wollte ein Arbeiter heiraten, so musste er ihn vorher um Erlaubnis bitten.
„Stumms bestimmender Einfluss auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik Kaiser Wilhelms II. in den 1890er Jahren führte dazu, dass in Berlin von der „Ära Stumm“ gesprochen wurde. Bismarck soll ihn „König Stumm“, Friedrich Naumann ihn wegen seines Reichtums und seines Auftretens „den Scheich von Saarabien“ genannt haben. Im saarländischen Volksmund wurde ihm der Name „Schlacke-Karl“ gegeben.“, heißt es in der Wikipedia. Als zweite Quelle diente mir www.planet-schule.de/wissenspool/die-staehlerne-zeit.
Die Gebrüder Stumm besaßen maßgebliche Anteile an der heute noch bestehenden Dillinger Hütte. Ihre Betriebe in Lothringen jedoch waren nach dem Ersten Weltkrieg als Reparationszahlungen an die Franzosen versteigert worden. Die Hauptaktivitäten des Konzerns verlagerten sich danach ins Ruhrgebiet, wo ihnen unter anderem die Zeche Minister Achenbach bei Lünen gehörte, die später die Essener Bergwerks-Verein „König Wilhelm“ AG kontrollierte. Sie besaßen die Niederrheinische Hütte in Duisburg-Hochfeld ebenso wie die Gelsenkirchener Gußstahl- und Eisenwerke, die sie später an die VESTAG verkauften, sowie eine Beteiligung an der Steag. So war logisch, dass die neue Firmenzentrale in Düsseldorf – dem Zentrum der Macht der Stahlbarone – gebaut wurde.
Auch das Ende des Stahlkonzerns Stumm war spektakulär: 1974 ging er aufgrund von fehlgeschlagener Rohölspekulationen (Ölkrise!) mit rund 14.000 Beschäftigten in Konkurs. Sein bauliches Erbe jedoch zählt heute zu den Schmuckstücken in Düsseldorfs Architektur-Schatulle.
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