Katharina Sieverdings Kunst ist immer politisch

Katharina Sieverding ist eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen, die viele Jahre lang an der Hochschule der Künste in Berlin als Professorin arbeitete. Sie lebt seit Mitte der 1960er-Jahre mit ihrem Mann Klaus Mettig in der Düsseldorfer Nordstraße – meiner ehemaligen Hood. Vermutlich bin ich den beiden schon häufiger auf der Straße begegnet, ohne sie zu erkennen.

Ich gebe zu, dass ich bisher noch nie so richtig Zugang zu ihrer Kunst gefunden hatte. Genau deshalb empfehle ich den Besuch dieser Retrospektive im K21. Denn wenn ich die großformatigen Selbstporträts anschaue, dann dachte ich bisher eher an ein übersteigertes Ego, war völlig in der Denkweise der heutigen Selfies gefangen. Doch Sieverdings Ansatz ist völlig konträrer dazu. Erst mit der Erklärung zur „Stauffenberg-Block“-Serie – die Close-ups ihres Gesichts in Rot nehmen eine ganze Wand ein – habe ich verstanden: Die Selbstinszenierung ist politisch. Es ging ihr – wie vielen anderen jungen Menschen – um die Aufarbeitung der Nationalsozialismus-Zeit. Sie stellte sich die Frage: „Kann ich mir als Deutsche überhaupt noch in die Augen schauen?“ Und probiert genau das aus: sich selbst anzuschauen..

Auch die Wand mit den Paar-Fotos ihres Lebenspartners sind mehr als Erinnerungen an gemeinsam verbrachte private Momente. Das geschminkte Gesicht ihres Lebenspartners in der Porträtserie aus dem Passbild-Automaten ist an vielen Stellen gender-fluid – und damit enorm gegenwärtig und politisch.

Sieverdings Kunst ist grundsätzlich politisch. Ihre Selbstporträts aus den 1970er-Jahren waren eine Selbstermächtigung zu einer Zeit, als Frauen ihre traditionellen Positionen eher hinterm Herd und nicht in der öffentlichen Diskussion leben konnten. Sie machte mit ihrem Gesicht Frauen sichtbar, war eine der ersten Frauen im internationalen Kunstbetrieb, und sieht sich als Feministin, obwohl sie mit den westdeutschen Feministinnen eher fremdelte. Das kann ich sehr gut verstehen, denn vermutlich wäre ich mit Alice Schwarzer und Co. auch nicht warm geworden.

Sie thematisiert allgemeine Politik wie Ausweisungen – auf dem ausgestellten Bild von Kindern nach Bosnien, aber es könnten auch aktuelle Flüchtlingsfamilien aus Syrien oder Afghanistan sein. Sie sieht die Todesstrafe kritisch. Ihre Werke wirken erstaunlich aktuell, obwohl viele davon aus den 1980er-Jahren stammen. Junge Menschen der Generation „Social Media“ fühlen sich angesprochen, weil sie mit einer Mischung aus Bild und plakativer Text-Aussage die Ästhetik der Memes vorweggenommen hat. Genau wie bei Internet-Memes provozieren Dissonanzen zum kritischen Nachdenken.

Die Schwester dieses Bilds hängt im Bundestag. Es ist die Überlagerung einer Sonneneruption mit der Röntgenaufnahme eines Rückgrats. in dem sich ein Tumor befindet. Ob die Politiker wissen, an was sie da ermahnt werden? Rückgrat zeigen, und auf die Natur achten.

Die US-Amerikaner konfiszierten alle Zeitungsfotos vom Tag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima – erst 1952 wurden fünf Aufnahmen freigegeben. Eine davon nutzt Sieverding für eine Mahnung vor Atomwaffen. Durch die Überlagerung mit einem anderen Foto wirkt es, als gingen die Menschen in ihr Grab.

Im wahrsten Wortsinn Mittelpunkt der Ausstellung ist das Archiv auf drei Tischen. Anderthalb Jahre lang durfte die Kuratorin der Ausstellung im Haus von Sieverding und Mettig in Kisten wühlen und das Lebenswerk sichten.

Als Meisterschülerin von Joseph Beuys war Sieverding aktiv bei der Besetzung des Sekretariats der Düsseldorfer Kunstakademie dabei. Wie eine Wandzeitung hängte sie ihre am Vortag gemachten Fotografien an die Wand der Kunstakademie. So hängen sie auch heute – und zeigen die Auseinandersetzung mit der Polizei und generell das Durcheinander damals.

Kommt man die Treppe in die Ausstellung herunter, findet man rechts daneben ein kleines Regal, auf dem Karten liegen. Darauf stehen unter anderem Fragen. Daher der Tipp: Mitnehmen und sie als Mittel zum aktiven Auseinandersetzen mit dem Werken nutzen.

Das größte Werk der Sieverding-Retrospektive ist übrigens kostenlos anzuschauen: Erstmals nutzte das K21 die Außenwand des Kubus über dem Foyer als Projektionsfläche. Es zeigt die „Enola Gay“ kurz vor Abwurf der Atombombe.

Die Kuratorin der Ausstellung, Isabelle Malz, führte uns Guides im Rahmen einer Multiplikatorenführung und erzählte auf eine charmante Art, wie die Ausstellung zustande kam. Ohne dies hätte ich vermutlich keinen echten Zugang zum Werk Katharina Sieverdings gefunden. DANKE fürs Augen-öffnen!
Besonderen Wert legte Malz auf den Dreh- und Angelpunkt der Werkschau – das Archiv. Deshalb durfte ich sie vor den drei Archiv-Tischen fotografieren. Die werden übrigens alle 6 Wochen ausgetauscht, sodass ein größerer Teil des Lebenswerks gezeigt werden kann.

K21
Katharina Sieverding

bis 23. März 2025
www.kunstsammlung.de/de/exhibitions/katharina-sieverding

PS: Bis Ende Januar ist im K21 auch noch die Ausstellung „O Mensch“ mit Fotografien von Lars Eidinger zu sehen. Herrlich, mit welch liebevollem Blick der Berliner Schauspieler Skurrilitäten mit Kamera oder Smartphone einfängt. Ob den Obdachlosen vor einem Werbeplakat für teure Inneneinrichtung im zufällig farblich zur Werbe-Couch harmonierenden Schlafsack oder der Baum, der – als würde er sich gerade ausruhen – sich auf einem Handlauf abzustützen scheint. Absolut sehenswert!

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