Ai Weiwei regt in K20 und K21 zur Wertediskussion an

Politik und Kunst liegen bei dem chinesischen Künstler Ai Weiwei sehr nah beieinander. Jedes seiner Werke – egal ob monumental groß oder eher klein – enthält beide Komponenten. Und immer muss der Betrachter die Biographie Ai Weiweis im Hinterkopf haben, ohne die die Aussage seiner Werke verschwindet: In China geboren, in den USA (New York) studiert und dort in Kontakt mit Konzeptkunst und Happenings gekommen. Zurück in China den Blick eines Externen auf sein Land beibehalten, was ihn zu Kritik an Unfreiheit und Fehlverhalten der Regierenden veranlasste. Dadurch ins Visier des Staates gekommen, verhaftet worden, unter Hausarrest gestellt, mit hohen Geldstrafen belegt – und vor fünf Jahren nach Berlin übersiedelt.
Hier ist der Wikipedia-Eintrag von Ai Weiwei:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ai_Weiwei

Meine Empfehlung zu dieser Ausstellung an zwei Standorten: Mit den aktuellen Werken im K21 beginnen und dann den Shuttlebus zum K20 nehmen.

K21

Selbst kann Ai Weiwei nicht mehr in seinem Heimatland leben, ist ein Flüchtling. Kein Wunder, dass ihn das Schicksal von Flüchtlingen beschäftigt, seit er in Berlin wohnt. Dies sind seine aktuellsten Werke.
Was aussieht wie ein Klamottenladen sind in dem wegen unhaltbarer Zustände geräumten griechischen Flüchtlingslager Idomeni zurückgelassene Kleidungsstücke, die Ai Weiwei in seinem Berliner Atelier gesäubert und geflickt hat. „Laundromat“ heißt das Kunstwerk – und so wirken die Textilien auch: Wie mit Abholzetteln versehene Kleidung in einer Reinigung.

Im zweiten Teil geht es um Überwachung: Kameras überall. Der Horror des Verlusts der Privatsphäre auf güldene Tapeten gedruckt und in derartigen Mustern zusammengesetzt, dass sie wie „harmlose“ barocke Motive wirken.
Dazu eine Skulpturen-Dokumentation à la Container der eigenen Überwachung (S.A.C.R.E.D.) und diverse Darstellungen seiner Gefängniszelle, in die der Betrachter durch kleine Glasplatten hereinschauen kann. Ich fühlte mich sofort wie ein „Spanner“, der sich am intimen Leben anderer ergötzt und einen ethisch-moralisch unangebrachten Blick erhaschen will.

K20

Am Grabbeplatz sind die beiden großen Hallen im Erdgeschoss zwei monumentalen älteren Werken gewidmet. Rechter Hand ist das vermutliche berühmteste Werk Ai Weiweis zu sehen – die für die Tate Modern in London im Jahr 2012 gemachten „Sonnenblumen“. Zuerst stand ich davor und dachte: „Was soll dieser Haufen Kerne?“. Wie die Sonnenblumen sich immer an der Sonne ausrichten, so soll sich das Volk am obersten Führer ausrichten, hat Mao gesagt. Und so sind die Sonnenblumenkerne das Symbol für die schiere Masse des „unkritischen“ Volkes. Unbedingt zu empfehlen ist, sich die Zeit zum Betrachten des Videos zu nehmen. Denn darin wird die Herstellung der Millionen von Sonnenblumenkernen aus Porzellan gezeigt. Formen, brennen, bemalen – und damit einem ganzen Ort für mehrere Monate mit diesem einen Auftrag Arbeit geben.
Spannend ist zudem die Wanddeko. Was aussieht wie Packzettel sind in Wahrheit Schuldscheine, die Ai Weiwei an seine Spender ausgegeben hatte. Im Zusammenhang mit der Sonnenblumen-Ausstellung in London wurde er verhaftet und später verurteilt, eine riesige Summe angeblicher Steuerschulden innerhalb kürzester Zeit bezahlen zu müssen. Per Crowdfunding warb er die Summe ein und stellte jedem Geldgeber einen exakten Schuldschein aus. Laut Infomaterial haben inzwischen alle Kreditgeber ihr Geld zurück erhalten.

Stahlrohlre aus den Trümmern zusammengebrochener Schulgebäude … wenn man sich vorstellt, dass während dieses Erdbebens 2008 in der Provinz Sichuan mehr als 5000 Schüler starben, dann gruselt es einen schon beim Anblick der Rohre. Und so ist der spontane Eindruck, die Holzkisten seinen Särge, durchaus gewünscht. In früheren Ausstellungen waren die Rohre zu großen Haufen geschichtet, hier erstmals in Kisten gelegt. In diesem Raum sind die Wände mit endlos erscheinenden Listen tapeziert. Ai Weiwei hatte damals rund 100 Helfer, die von Familie zu Familie, von Dorf zu Dorf gingen und Namen, Alter etc. über die vermissten Kinder sammelten und notierten. Bis heute hat die Regierung wohl offiziell keine Liste der getöteten Schüler erstellt. So ist die Initiative des Künstlers die einzige Informationsquelle – und allein schon durch ihre Existanz prangert sie Verantwortungslosigkeit und Korruption an. Denn es steht zu vermuten, dass die Schulgebäude aufgrund von Korruption nicht in korrekter Bauweise errichtet wurden.

Fazit: Absolut sehenswerte Ausstellung, die zum Nachdenken anregt. Ich habe mir vorgenommen, das Thema Privatsphäre künftig kritischer anzugehen. „Ich habe doch nichts zu verbergen“ ist einfach kein akzeptabler Satz …

Ausstellung parallel in K20 und K21 bis 1.9.2019

http://www.kunstsammlung.de/en/ai-weiwei.html

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