In Düsseldorf gibt es zwei „gefallene Engel“. Die Rede soll hier nicht von Frauen sein, sondern von tatsächlichen Engeln, die entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung nun auf dem Boden zu finden sind. Denn einst waren die beiden knienden Engel hoch oben in der Fassade der Johanneskirche zu finden, über den Giebeln des Nord- und Südportals. Nah bei Gott – und doch demütig auf den Knien im Angesicht des Allmächtigen, blickten sie hinab auf die Stadt.
Dann kam der Zweite Weltkrieg, Düsseldorfs Zentrum wurde im Bombenhagel zu 85 Prozent zerstört – und auch die Johanneskirche wurde getroffen. Zunächst konnten sich die Engel noch auf ihrem luftigen Platz an den teilzerstörten Kirchenmauern halten, fielen dann aber bei einem der folgenden Bombardements herunter. Die Engel verloren 1943 ihren Aussichtsplatz hoch oben, lagen im Schutt und sind seitdem versehrt. Wobei es unterschiedliche Quellen gibt, seit wann es den „kopflosen Engel“ gibt. Eine Quelle schreibt, dass er heute rechts stehende Engel beim Herunterfallen seinen Kopf einbüßte. Andere schreiben, er hätte erst beim Wiederaufbau 1952 seinen Kopf verloren.
Was dann geschah, zitiere ich aus der Vereinsgeschichte des Heimat- und Bürgervereins Kaiserswerth: https://www.museum-kaiserswerth.de/die-vereinsgeschichte/
„Die Johannes-Kirchengemeinde und die Architekten sahen damals im Bereich der Kirche keinen Aufstellungsort mehr für die beiden Himmelsboten und entschieden sich für eine „Entsorgung“. Damals hieß das noch „auf den Schutthaufen!“ Dr. Hans Stöcker, seinerzeit Chef der Lokalredaktion der Rheinischen Post mit seinem Büro gleich nebenan, gleichzeitig Vorsitzender des Heimat- und Bürgervereins Kaiserswerth e.V., verfolgte das Geschehen. Da er der Ansicht war, dass man Engel nicht wegwirft, auch wenn sie sichtbar ein schweres Schicksal hinter sich haben und vom Schönheitsideal abweichen, ließ er die beiden Skulpturen nach Kaiserswerth schaffen“. Die Transportkosten bezahlte die Vereinskasse. „Im damals noch ziemlich verwilderten Wallgraben unterhalb der Klemensbrücke fanden sie eine Bleibe. Sie standen jetzt nicht mehr hoch oben auf Podesten, sondern unterhalb der über die Klemensbrücke eilenden Menschen.“
Vierzig Jahre später kamen die Skulpturen zurück – fast an ihre ursprüngliche Stelle. Seit 1994 knien die beiden auf 1994 auf 1,50 Meter hohen Basaltlava-Sockeln vor der Johanneskirche. Sie blicken nicht mehr über die Stadt, sondern genau auf die Ausfahrt der Tiefgarage der Schadow-Arkaden.
Immer interessiere ich mich dafür, wer Kunstwerke geschaffen hat. So schaute ich auf die am Sockel angebrachte Plakette: Ein Herr „C. H. Müller“ schuf die beiden Engel im Jahr 1879.
Dann begann meine Verwirrung: Zunächst stieß ich auf diese Webseite: https://skulpturen.kulturraum.nrw/duesseldorf/carl-hubert-mueller/zwei-engel.html
Carl Hubert Müller
* 1818
† 1893
Dann befragte ich Wikipedia – und fand zwei „Karl Müller“ mit K. Einer schrieb sich wohl auch als Carl mit C und war ein Maler der Düsseldorfer Malerschule: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_M%C3%BCller_(Maler)
Auch dessen Lebensdaten stimmen.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, wieso ein Maler plötzlich Skulpturen gemacht haben sollte. Also suchte ich nach einem Bildhauer gleichen Namens – und wurde fündig: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_M%C3%BCller_(Bildhauer) Bei ihm stimmt zwar nicht das C, dafür aber der zweite Vorname Hubert.
Also suchte ich weiter – und landete auf der offiziellen Webseite der Düsseldorfer Kunst im öffentlichen Raum: https://emuseum.duesseldorf.de/view/objects/asitem/items$0040:138499 Und siehe da: Hier stehen andere Lebensdaten: Carl Hubert Müller (DE, 1844–1909).
Juhu – da hatte ich den richtigen C. H. Müller gefunden. Er studierte Bildhauerkunst an der Kunstakademie Düsseldorf unter August Wittig. Anschließend bildete er sich in München weiter. Er lebte zuletzt in Düsseldorf. Er schuf Figuren, Reliefs und Porträtbüsten. Sein bekanntestes Werk war ein Bildnis Wilhelms I. für den Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. 1895 schuf er ein Bildnis des Richters und Mäzens Oskar Aders für das Düsseldorfer Rathaus.
Jetzt müsste „nur“ noch jemand in der Wikipedia hinzufügen, dass auch dieser Bildhauer – übrigens waren die beiden verwand, denn sie waren Onkel und Neffe – wohl als Carl mit C geschrieben wurde…
In Düsseldorf gibt es laut emuseum-Webseite keine weiteren Kunstwerke von ihm.
PS: Auf den kopflosen Engel bin ich kürzlich auch beim Besuch im K21 gestoßen, und zwar in der Ausstellung „O Mensch“ mit Fotografien von Lars Eidinger. Tatsächlich: Das Foto reiht sich perfekt ein in den liebevoll-humorigen Blick des Schauspielers und Multi-Künstlers Eidinger auf die Skurrilitäten dieser Welt. Die Ausstellung läuft noch bis 26.1.2025.
Vor ein paar Wochen habe ich einen Blog-Artikel über die große Backsteinkirche in der Stadtmitte geschrieben: Johanneskirche steht im geographischen Zentrum.